Im Rahmen des Doppelhaushalts 2023/2024 wurde die Stadtverwaltung Freiburg beauftragt, den Bedarf für ein queeres Jugendzentrum zu prüfen. Am 10.03.2025 nahm der Kinder- und Jugendhilfeausschuss die Drucksache KJHA-25/004 sowie den Abschlussbericht des Forschungsprojekts zur Kenntnis.
Drucksache KJHA-25/004
1. Ausgangslage
Im Rahmen eines Fraktionsantrages der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN zum Doppelhaushalt 2023/2024 wurde die Verwaltung beauftragt, die Bedarfslage eines queeren Jugendzentrums in Freiburg festzustellen.
Ziele des Vorhabens sind konkrete Erkenntnisgewinne über die Bedarfslage junger Freiburger*innen sowie von Akteur*innen und Vereinen mit Blick auf ein potenzielles queeres Jugendzentrum und die Entwicklung eines Konzeptes für die Umsetzung eines queeren Jugendzentrums unter Berücksichtigung von Erfahrungswerten aus anderen Städten sowie die Darstellung von Handlungsempfehlungen. Die Evangelische Hochschule Freiburg wurde von der Stadtverwaltung mit dem Forschungsprojekt beauftragt und führte dieses zwischen dem 15.02.2024 und 15.11.2024 durch.
2. Forschungsprojekt
Die Evangelische Hochschule Freiburg (EH) initiierte in Zusammenarbeit mit dem Amt für Kinder, Jugend und Familie (AKI) zunächst einen runden Tisch, um mit den verschiedenen Akteur*innen und Vereinen in Austausch zu kommen. Aus den Teilnehmenden des Runden Tisches wurde eine Begleitgruppe eingerichtet (Vertretungen: AKI, EH, Tritta* – Verein für feministische Jugendarbeit e.V., FLUSS e.V.) Neben der Erhebung der Bedarfslage junger Freiburger*innen wurden als ergänzende Grundlagen für die Konzeptentwicklung Erfahrungswerte und Beispiele aus anderen vergleichbar großen Städten recherchiert und der Begleitgruppe als Zwischenbericht präsentiert. Gerade in Bezug auf den Kern des Projekts, die quantitative Online-Umfrage, lässt sich sagen, dass die Zielgruppe definitiv erreicht werden konnte und die Ergebnisse als sehr aussagekräftig eingeordnet werden können.
3. Ergebnisse
An der quantitativen Erhebung haben – nach Bereinigung des Datensatzes – insgesamt 811 Personen teilgenommen. Davon entfallen 567 Antworten auf den Fragebogen für 14 – 21-jährige, 244 Antworten auf den Fragebogen für über 21-jährige und 31 Antworten auf den Fragebogen für Eltern. Bei der Bereinigung wurden insgesamt 31 Datensätze gelöscht (vgl. Ziffer 9.1.2 der Anlage zur Drucksache KJHA-25/004). Die Altersverteilung im Sample des Fragebogens für 14 – 21-jährige ist sehr gemischt und somit als gut zu bewerten.
Die zentrale Frage der Untersuchung wird von den Befragten eindeutig beantwortet: Die Idee eines queeren Jugendzentrums für Freiburg stößt bei den Befragten auf große Zustimmung. Nahezu alle Befragten geben an, (mindestens eher) für ein queeres Jugendzentrum zu sein und lediglich unter 5 % lehnen die Idee ganz bzw. eher ab (Altersgruppe unter 21 Jahren). Die befragten Jugendlichen plädieren dafür, dass ein queeres Jugendzentrum in der Freiburger Innenstadt, bzw. in Nähe des Freiburger Hauptbahnhofs – und damit gut mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erreichbar – liegen sollte. Da Ängste vor Gewalt und Übergriffen bestehen, soll ein Sicherheitskonzept für das queere Jugendzentrum auch den Hin- und Rückweg für die Besucher*innen mitbedenken.
Ein queeres Jugendzentrum wird von den Befragten dabei auch als Safe Space konzipiert, an dem sie keine Diskriminierung erleben, an dem sie sie selbst sein können und Gemeinschaft und Zugehörigkeit erleben können. Außerdem stellen sie sich ein queeres Jugendzentrum als Ort vor, an dem sie andere queere Jugendliche kennenlernen, sich austauschen und vernetzen können. In Bezug auf die bestehenden Angebote erhoffen sich die Befragten von einem queeren Jugendzentrum eine Entlastung und bessere Kooperationsmöglichkeiten, die zu einer Bündelung der Angebote führen könnte. Ein queeres Jugendzentrum hat in den Augen der Befragten auch einen hohen symbolischen Wert.
Im Idealfall sollte ein queeres Jugendzentrum sowohl einen Offenen Treff wie auch verschiedene Gruppen- und Beratungsangebote bieten. Darüber hinaus soll ein queeres Jugendzentrum Eltern informieren und durch Kooperation und weiterverweisen die Gesundheitsversorgung queerer Jugendlicher und die Lage queerer Jugendlicher an den Schulen verbessern. Außerdem soll es eng mit den bestehenden Einrichtungen der queeren Community zusammenarbeiten und diese dadurch bündeln und entlasten – beispielsweise durch die Bereitstellung von Räumen, Finanzmitteln oder organisatorischer Hilfe. Die Umfrage zeigt einen hohen Bedarf der Zielgruppe an zusätzlichen Angeboten, wie Freizeit- und Beratungsangeboten, aber auch Veranstaltungen und Gruppenangeboten und Möglichkeiten, andere junge queere Menschen kennenzulernen. Ein queeres Jugendzentrum sollte nach Meinung der Befragten über verschiedene, von den Nutzer*innen selbstgestaltbare Räume verfügen. Diese müssen zwingend barrierefrei und inklusiv gestaltet sein.
4. Ausblick
Die Ergebnisse werden durch die Evangelische Hochschule im Kinder- und Jugendhilfeausschuss präsentiert und diskutiert, im Anschluss wird die Studie veröffentlicht.
Im Rahmen des Freizeitstättenbedarfsplanes wurde bereits der Bedarf für eine Vollzeitstelle für die Arbeit mit Les-Bi-Schwul-Trans-Jugendlichen (LSBTIQ*) festgestellt und mit dem Doppelhaushalt 2023/2024 vom Gemeinderat beschlossen. Der damit verbundene Personalkostenzuschuss wurde im Rahmen eines Interessensbekundungsverfahrens an das Jugendhilfswerk Freiburg vergeben. Ziel dabei ist die Etablierung eines ergänzenden, jedoch konzeptionell aufeinander abgestimmten, hauptamtlichen Angebotes für junge queere Menschen in Freiburg bis 21 Jahren. Die Vollzeitstelle ist auf zwei Fachkräfte unterschiedlichen Geschlechts aufgeteilt, um den verschiedenen Bedarfen gerecht zu werden. Die bestehenden Angebote des Trägers sollen dadurch für alle Jugendlichen weiterentwickelt und durch Formate im Sinne von queeren Safe Spaces ergänzt werden sowie Anlauf- und Beratungsstelle für queere Jugendliche im Sinne der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sein. Die Angebote sind nicht exklusiv, sondern werden in die bestehenden Formate integriert. Zentraler Bestandteil ist die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachstellen und Akteur*innen in Freiburg. Die ersten Erfahrungen sind durchaus positiv und unterstreichen den Nutzen der neu entwickelten Safe Spaces, auch als Zugang zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit.
Die Verwaltung hat im Rahmen des Doppelhaushaltes 2025/2026 weitere Mittel (je 50.000,00 € pro Jahr) eingestellt. Diese sollen für den Konzeptionsprozess verwendet werden. Klar ist, dass eine Realisierung eines queeren Jugendzentrums dauerhaft Mittel in deutlich höherem Umfang benötigen würde. Die Verwaltung wird daher dem Gemeinderat zum Doppelhaushalt 2027/2028 einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen unterbreiten. Diskutiert werden muss, ob und in welcher Größe ein neues Jugendzentrum gegründet wird (durchschnittliche Betriebskosten: ca. 250.000,00 € pro Jahr zzgl. Einrichtungs- und ggf. Baukosten), ob ein bestehendes Jugendzentrum in ein queeres Jugendzentrum umgewandelt wird, ob ein queeres Angebot an ein bestehendes Jugendzentrum angegliedert wird oder ob aufgrund fehlender Ressourcen auf ein entsprechendes Angebot verzichtet werden muss.
Abschlussbericht
Braucht Freiburg ein Queeres Jugendzentrum? Bedarfsanalyse und Konzeptentwicklung für ein queeres Jugendzentrum. Im Auftrag des Amts für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Freiburg hat die EH Freiburg untersucht, ob in Freiburg Bedarf für ein queeres Jugendzentrum besteht und wie ein solches Zentrum inhaltlich und strukturell gestaltet sein könnte.
1. Einleitung
Der Auftrag
Im Auftrag des Amts für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Freiburg hat unser Forschungsteam – bestehend aus Prof.in Dr.in Nina Wehner (Projektleitung) und Dr. des. Annika Spahn (Projektkoordination) und den Wissenschaftlichen Hilfskräften Judith Brodbeck, Leo Dejaeger und Bente Schulte Westenberg – an der Evangelischen Hochschule Freiburg untersucht, ob in Freiburg Bedarf für ein queeres Jugendzentrum besteht und wie ein solches Zentrum inhaltlich und strukturell gestaltet sein könnte.
Hintergrund und Problemstellung
Die Forschungslage zeigt, dass queere Jugendliche, besonders während ihres Coming Outs in einer belastenden Lebenssituation sind, die sich durch niedriges Wohlbefinden und niedrige Resilienz auszeichnet (Frohn et al. 2023; Oldemeier 2018). Im Alltag erleben sie häufig Diskriminierung (Oldemeier 2018) – und auch ihre Freizeit ist durch Angst vor Ablehnung und Diskriminierungserfahrungen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) belastet (Krell und Oldemeier 2018). Queere Jugendliche gelten damit als hochbelastete Gruppe, die besondere Unterstützungsbedarfe hat. Hierzu gehört die Teilhabe an Angeboten der OKJA ohne das Erleben von Diskriminierung und Bedarf an Angeboten und Räumen, in denen sie andere queere Jugendliche kennenlernen und sich austauschen können.
Über das Forschungsprojekt
Zentrales Ziel unseres Forschungsprojekts war es, die Perspektiven queerer Jugendlicher und junger Erwachsener in Freiburg sichtbar zu machen und sie direkt nach ihren Bedarfen und Einschätzungen zu befragen. Hierzu haben wir neben den jugendlichen Zielgruppen auch Expert*innen, insbesondere Fachkräfte aus der queeren OKJA in Freiburg, einbezogen.
Das Projekt widmete sich unter anderem der Frage, welche Angebote in Freiburg für queere Jugendliche und junge Erwachsene bereits bestehen, ob ein queeres Jugendzentrum als Ergänzung sinnvoll wäre und wie ein solches Zentrum aus Sicht der Betroffenen gestaltet werden sollte. Für diese Untersuchung haben wir zwei zentrale Erhebungen durchgeführt: Erstens eine Online-Umfrage mit 811 Teilnehmenden, und zweitens sieben Gruppendiskussionen, davon fünf mit queeren Jugendlichen, um die Umfrageergebnisse zu vertiefen.
Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Empfehlungen in diesem Bericht zur Konzeption eines potenziellen queeren Jugendzentrums in Freiburg.
Über diesen Bericht
Dieser Bericht fasst die Ergebnisse unserer Forschung zusammen. In Kapitel 2 finden Sie zunächst eine Übersicht über die zentralen Ergebnisse. Kapitel 3 beschreibt das Forschungsprojekt im Detail und stellt die Forschungsfragen, die Methodik sowie das Forschungsdesign vor. Kapitel 4 erläutert die verschiedenen Meilensteine des Projekts.
Kapitel 5 bietet Erklärungen zu wichtigen Begriffen und Identitäten, die in diesem Bericht erwähnt werden, wie etwa nicht-binär oder aromantisch. Kapitel 6 skizziert den aktuellen Forschungsstand: Hier wird die bestehende Literatur zur Lebenssituation queerer Jugendlicher, zu ihrem Freizeitverhalten sowie zur queersensiblen OKJA und bestehenden queeren Jugendzentren vorgestellt.
Kapitel 7 dokumentiert unsere Ergebnisse zur queersensiblen OKJA in Freiburg, gefolgt von Kapitel 8 mit einer Analyse bestehender queerer Jugendzentren in Deutschland. Kapitel 9 beschreibt detailliert unser Forschungsdesign für die Umfrage und die Gruppendiskussionen sowie die erreichte Zielgruppe. Kapitel 10 stellt die Ergebnisse unserer Forschung vor, darunter die Lebenssituation queerer Jugendlicher in Freiburg, ihre Erfahrungen in der Freiburger OKJA und ihre Wünsche für ein mögliches queeres Jugendzentrum.
Kapitel 11 präsentiert unsere Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen auf Grundlage der Forschungsergebnisse. Im Anhang finden Sie das Literaturverzeichnis, den Fragebogen der Online-Umfrage und einen Transkriptionsindex, damit die Ausschnitte aus den Gruppendiskussionen besser verständlich werden.
2. Ergebnisse auf einen Blick
- In Freiburg gibt es elf unterschiedlich professionalisierte Angebote, die sich explizit an queere Jugendliche und junge Erwachsene richten. Diese werden unterschiedlich stark nachgefragt, einige von ihnen operieren allerdings an der Kapazitätsgrenze und haben mit knappen (finanziellen) Ressourcen zu kämpfen. Außerdem gibt es vier weitere Angebote, die Teil der allgemeinen Offenen Kinder- und Jugendarbeit sind, aber zu einem signifikanten Teil von queeren Jugendlichen besucht werden.
- An unserer Online-Umfrage haben insgesamt 811 Personen teilgenommen. An den demographischen Daten zeigt sich, dass wir die intendierte Zielgruppe, d. h. queere Jugendliche und junge Erwachsene aus Freiburg und Umgebung, erreicht haben. Es zeigt sich eine diverse Zusammensetzung, bspw. in Bezug auf die verwendeten Label für Geschlecht, sexuelle und romantische Orientierung, unter den Teilnehmer*innen. Trans, inter*, nicht-binäre, sowie questioning Jugendliche wurden in einem hohen Maße erreicht. Dagegen sind bspw. Haupt-, Real- und Werkrealschüler*innen in unserem Sample unterrepräsentiert. Ein hoher Anteil der Befragten ist chronisch krank, behindert, hat eine soziale Angststörung und/oder neurodivergent, so dass Barrierefreiheit und Inklusion zentrale Themen in unserem Bericht sind.
- Unsere Umfrage zeigt, dass Selbstfindungs- und Coming Out Prozesse im Alter von 21 Jahren häufig noch nicht abgeschlossen sind. Daher haben auch queere Personen über 21 Jahren einen hohen Bedarf an Unterstützung. Sie äußern in unseren Daten die Angst, für ein Queeres Jugendzentrum zu alt zu sein. Die Über-21-Jährigen plädieren in unserer Umfrage daher auch mit 80,3%iger Zustimmung für die Einrichtung eines allgemeinen Queeren Zentrums in Freiburg.
- Die Befragten beschreiben Freiburg als eine offene, tolerante und liberale Stadt, in der sie sich grundsätzlich wohlfühlen. Dennoch beschreiben sie eindrücklich Erfahrungen von Gewalt und Diskriminierung, besonders im öffentlichen Raum und im Schulalltag. Ein großer Teil (69,5%) der befragten queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat bereits Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und ihrer sexuellen bzw. romantischen Orientierung erlebt. Die Lebenssituation junger queerer Personen in Freiburg wird maßgeblich davon beeinflusst, inwiefern ihre Eltern sie unterstützen, inwiefern sie in der Schule vor Diskriminierung und Gewalt geschützt werden und inwiefern sie Zugang zu Transitionsmaßnahmen haben.
- Von den befragten queeren Personen zwischen 14 und 21 Jahren besuchen 19% regelmäßig Angebote der OKJA. Die OKJA wird teilweise als offener und positiver Raum beschrieben (so haben 43,2% der Befragten dort positive Erfahrungen gemacht) – die Jugendlichen erzählen aber auch von queerfeindliche Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen (19%), wie Misgendering und Mobbing bzw. der Angst davor. Diese bewirken in einigen Fällen, dass die queeren Jugendlichen der allgemeinen OKJA fernbleiben. Teilweise fehlen den befragten Jugendlichen auch passende Angebote in ihrer Nähe, so dass sie nicht an der OKJA partizipieren.
- 21,1% der Befragten gibt an, keine queere Jugendgruppe bzw. kein queeres OKJA-Angebot zu kennen, woraus wir folgern, dass die Bekanntheit dieser Angebote verbessert werden sollte. Diejenigen, die Angebote der queeren OKJA besuchen, nennen als große Vorteile die Informationsweitergabe (bspw. zu Transition), den Austausch mit anderen queeren Jugendlichen, sowie die Unterstützung, die sie dort erleben. Die queere OKJA hat eine große Bedeutung für die Selbstfindung und die Entwicklung eines positiven Selbstbilds für die Befragten.
- Die befragten Jugendlichen sprechen sich eindeutig für ein queeres Jugendzentrum für Freiburg aus: 89,5% sind (eher) für ein queeres Jugendzentrum und nur 3,6 % lehnen die Idee ganz bzw. 1,7% eher ab. Ein Queeres Jugendzentrum wird von den Befragten als Safe Space konzipiert, an dem sie keine Diskriminierung erleben, an dem sie sie selbst sein können und an dem sie Gemeinschaft und Zugehörigkeit erleben können. Außerdem stellen sie sich ein Queeres Jugendzentrum als Ort vor, an dem sie andere queere Jugendliche kennenlernen und sich austauschen und vernetzen können. Ein Queeres Jugendzentrum könnte außerdem eine zentrale Anlaufstelle sein, sowie ein sicherer und kostenloser Aufenthaltsort in der Stadt. In Bezug auf die bestehenden Angebote erhoffen sich die Befragten von einem Queeren Jugendzentrum eine Entlastung und bessere Kooperationsmöglichkeiten, die zu einer Bündelung der Angebote führen könnte. Ein Queeres Jugendzentrum hat in den Augen der Befragten auch einen hohen symbolischen Wert. Gegen ein Queeres Jugendzentrum spricht aus Sicht der Befragten, dass sexuelle, romantische und geschlechtliche Vielfalt auch in regulären Jugendzentren thematisiert werden sollte. Sie befürchten außerdem Hass und Gewalt gegen die Besucher*innen eines Queeren Jugendzentrums.
- Die befragten Jugendlichen plädieren dafür, dass ein Queeres Jugendzentrum in der Freiburger Innenstadt, bzw. in Nähe des Freiburger Hauptbahnhofs – und damit gut mit dem ÖPNV erreichbar – liegen sollte. Da sie große Angst vor Gewalt haben, soll ein Sicherheitskonzept für das Queere Jugendzentrum auch den Hin- und Rückweg für die Besucher*innen mitbedenken.
- Ein Queeres Jugendzentrum soll nach Meinung der Befragten über verschiedene, von den Nutzer*innen selbstgestaltbare, Räume, verfügen. Diese müssen zwingend barrierefrei und inklusiv gestaltet sein. Es gibt keinen Konsens über konkrete Zugangsbeschränkungen in einem solchen Zentrum, allerdings sind sich die Befragten einig, dass diskriminierende Personen keinen Zugang zu einem Queeren Jugendzentrum haben sollten und dass die Mitarbeiter*innen sie vor Gewalt schützen sollen.
- Im Idealfall soll ein Queeres Jugendzentrum sowohl einen Offenen Treff wie auch verschiedene Gruppen- und Beratungsangebote bieten. Darüber hinaus soll ein Queeres Jugendzentrum Eltern informieren und durch Kooperation und Weiterverweisen die Gesundheitsversorgung queerer Jugendlicher und die Lage queerer Jugendlicher an den Schulen verbessern. Außerdem soll es eng mit den bestehenden Einrichtungen der queeren Community zusammenarbeiten und diese dadurch bündeln und entlasten – beispielsweise durch die Bereitstellung von Räumen, Finanzmitteln oder organisatorischer Hilfe. Unsere Umfrage zeigt einen hohen Bedarf der Zielgruppe an zusätzlichen Angeboten, wie Freizeit- und Beratungsangebote, aber auch Veranstaltungen und Gruppenangebote und an Möglichkeiten, andere junge queere Menschen kennenzulernen.
11. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Hoher Bedarf für ein Queeres Jugendzentrum
Das zentrale Ergebnis unserer Studie ist: Queere Jugendliche und junge Erwachsene in Freiburg haben einen hohen Bedarf an mehr Angeboten im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, bei dem sie in ihrer Selbstfindung, Entwicklung eines positiven Selbstbilds, bei der Bewältigung ihres Coming Outs (z. B. bei den Eltern) und dem Erleben von Diskriminierung und Gewalt, z. B. im öffentlichen Raum und in der Schule unterstützt werden. Sie sprechen sich eindeutig für die Einrichtung eines Queeren Jugendzentrums in Freiburg aus. Dieses wird von ihnen als Safe Space, als zentrale Anlaufstelle, als sicherer Aufenthaltsort und als wichtiges Symbol im Stadtbild konzipiert. Allerdings befürchten die Befragten Hass und Gewalt gegenüber Besucher*innen eines solchen Queeren Jugendzentrums, weswegen ein Sicherheitskonzept und wohl überlegte Zugangsbeschränkungen zentraler Bestandteil der Ausgestaltung sein muss.
Erleben und Nutzen der (queeren) OKJA
In Freiburg gibt es bereits unterschiedliche Angebote explizit für queere Jugendliche; diese werden auch gut angenommen und besucht. Die befragten Jugendlichen berichten, wie wohl sie sich in den queeren Jugendgruppen fühlen und wie viel ihnen der Besuch dieser Gruppen bedeutet. Dort erhalten sie Informationen, beispielsweise über Transitionsmaßnahmen und genießen den Austausch mit anderen queeren Jugendlichen.
Allerdings sind die existierenden Angebote aus Sicht der Jugendlichen nicht ausreichend. So fehlen für Gruppen wie asexuelle, aromantische und inter* Jugendliche Angebote. Außerdem beschreiben sie Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen in der allgemeinen OKJA. Diese führen auch dazu, dass queere Jugendliche der allgemeinen OKJA fernbleiben. Vorrangig aber fehlt ihnen ein offener, sicherer, kostenloser Aufenthaltsraum in der Stadt, in dem sie Freund*innen finden und treffen können, frei von Diskriminierung und Gewalt sind und sie selbst sein können (z. B. im Hinblick auf verwendete Namen und Pronomen). Diese Schutzraum-Funktion können die Jugendzentren, die es in Freiburg gibt, so nicht leisten.
Fehlende Angebote
Unsere Umfrage zeigt einen hohen Bedarf der Zielgruppe an zusätzlichen Angeboten, wie Freizeit- und Beratungsangeboten, aber auch Veranstaltungen und Gruppenangeboten und an Möglichkeiten, andere junge queere Menschen kennenzulernen. Die Befragten wünschen sich ein Queeres Jugendzentrum, indem sie die Räume selbst gestalten können und das klassische Angebote eines Jugendzentrums, wie eine Küche, Spiele und Aktivitäten, Sofas und Informationsmaterialien, bereithält.
Bedarfe queerer junger Erwachsener
Unsere Studie zeigt aber auch: Die Selbstfindung und das Coming Out queerer Personen ist mit dem 21. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen. Auch queere junge Erwachsene über 21 Jahren haben Bedarf an Unterstützung und Angeboten, wie Beratung und Veranstaltungen. Sie äußern die Angst, für ein Queeres Jugendzentrum zu alt zu sein. Die Über-21-Jährigen plädieren in unse- rer Umfrage daher auch mit 80,3%iger Zustimmung für die Einrichtung eines allgemeinen Queeren Zentrums in Freiburg. Eine Möglichkeit wäre also, in Freiburg ein Queeres Zentrum einzurichten, das einen eigenen Jugendbereich hat.
Ausgestaltung eines Queeren Jugendzentrums
Die demographischen Angaben der Teilnehmer*innen an unserer Online-Umfrage und die ausgefüllten Freitextfelder zeigen außerdem deutlich: Die Zielgruppe ist in einem hohen Maße von Behinderung, chronischen und psychischen Erkrankungen sowie Neurodivergenz betroffen. Die Ausgestaltung eines queeren Jugendzentrums muss also ganz besonders auf Inklusion, Zugänglichkeit und Barrierefreiheit in einem weiten Verständnis achtgeben.
Bedarfe der Träger*innen der aktuellen Angebote
Unsere Erhebung zeigt auch: Viele der aktuellen Angebote der queeren OKJA operieren an der Belastungsgrenze. Sie verfügen nicht über ausreichende Finanzmittel oder passende Räumlichkeiten, sind auf (teilweise selbstausbeuterisches) Ehrenamt angewiesen und können den Bedarf an Beratung und Weitervermittlung an professionalisierte Stellen (wie die stationäre Jugendhilfe oder psychiatrische Einrichtungen) kaum leisten. Im Rahmen unseres Forschungsprojekts wurde außerdem deutlich, dass der Ausbau der queeren Jugendarbeit und der Aufbau eines eventuellen Queeren Jugendzentrums nicht ohne die Einbeziehung der Fachkräfte und Organisationen der aktuellen queeren OKJA funktionieren kann oder geschehen sollte. Sowohl die befragten Jugendlichen als auch die Fachkräfte erhoffen sich von einem queeren Jugendzentrum die Bündelung und organisatorische Unterstützung – und damit die Entlastung – der bestehenden Angebote.
Audio-Aufzeichnungen
Kinder- und Jugendhilfeausschuss am 10.03.2025
Kinder- und Jugendhilfeausschuss am 07.10.2025
Diskussion
Durch eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Forschungsprojekt und dem Abschlussbericht ergeben sich unter anderem folgende Diskussionspunkte:
Repräsentativität der Umfrage
Im Abschlussbericht wird auf Seite 32 festgehalten, dass weibliche Teilnehmerinnen mit 54,4 % mehr als doppelt so stark vertreten sind wie männliche mit 21,5 %.
Eine differenzierte Auswertung nach cis-männlichen und trans-männlichen Jugendlichen wurde im Abschlussbericht nicht veröffentlicht. Schätzungen zufolge sind über 80 % von trans* Jugendlichen „assigned female at birth“ (AFAB).
Bei der Online-Umfrage durch die EH Freiburg gaben 21,1 % der Befragten an, trans zu sein. Aufgrund eines vermutlich sehr hohen Anteils trans-männlicher Teilnehmer liegt der Anteil cis-männlicher Teilnehmer schätzungsweise nur zwischen 1 % und 6 %. In der Zielgruppe sind cis-männliche Jugendliche jedoch mit fast 50 % vertreten. Da das Forschungsteam der EH Freiburg dazu bisher keine Daten veröffentlicht hat, stützen sich diese Angaben bislang auf Schätzungen.
Gemäß § 9 SGB VIII müssen die verschiedenen Lebenslagen von Mädchen, Jungen sowie von transidenten, nicht-binären und intergeschlechtlichen jungen Menschen berücksichtigt werden. Aus oben dargelegten Gründen stellt sich die Frage, ob die bisherige Planung und Konzeption eines queeren Jugendzentrums in Freiburg auch die spezifischen Bedarfe und Lebensrealitäten von cis-männlichen Jugendlichen ausreichend einbezieht.
Abbildungen aus dem Abschlussbereicht (Seite 32):

Abbildung 4; 14-21 Jahre; „Wie beschreibst du selbst dein Geschlecht?“ (n=522); Mehrfachantworten möglich

Abbildung 5; 14-21 Jahre; „Bist du trans und/oder intergeschlechtlich?“ (n=517); Mehrfachantworten möglich
Repräsentativität in der Begleitgruppe
Laut Abschlussbericht (S. 7) hat eine Begleitgruppe – bestehend aus Fachkräften der Vereine FLUSS e.V. und Tritta* e.V. – maßgeblich beim Feldzugang unterstützt und eine erste Fassung der Ergebnisse in der Steuerungsgruppe diskutiert.
Im Personal der oben genannten Vereine ist die cis-männliche Perspektive unterrepräsentiert oder gar nicht vorhanden. Dies könnte die geringe Beteiligung cis-männlicher Jugendlicher an der Online-Umfrage erklären, etwa durch einen einseitigen Feldzugang oder eine unbewusste Fokussierung auf bestimmte Zielgruppen.
Im Forschungsteam der EH Freiburg als auch bei den Redebeiträgen im Kinder- und Jugendausschauss waren cis‑männliche Perspektiven ebenfalls unterrepräsentiert.
Der Begriff “queer”
Im Abschlussbericht wird auf Seite 9 unter Begriffe und Definition für “queer” Folgendes festgehalten.
Dagegen nutzen wir den (durchaus politisierten) Begriff queer, um diejenigen zu beschreiben, deren Geschlecht und sexuelle bzw. romantische Orientierung nicht der Heteronormativität entsprechen, die also in einem heteronormativen System marginalisiert werden. Queer ist nicht nur ein individuelles Label, es umfasst auch die Erfahrungen derjenigen, die Label wie z. B. schwul, lesbisch, bisexuell, trans, inter* oder polyamor nicht für sich nutzen. Denn: Zurecht wird das Akronym LSBATIQ in all seinen Variationen als ausschließend und einengend kritisiert. Die Verwendung von Queer als Sammelkategorie wird ebenfalls kritisiert, beispielsweise, da sich nicht alle Personen, die in unserer Definition unter den Begriff fallen, sich selbst auch so bezeichnen. Es existiert allerdings auch keine weit verbreitete Begriffsalternative, so dass queer als umfassendster Begriff trotzdem genutzt wird. Dort, wo wir im Bericht spezifische Gruppen wie z. B. nicht-binäre Personen oder aromantische Personen meinen, nutzen wir spezifische Label.
Die Verwendung des Begriffs “queer” im Titel des Jugendzentrumsprojekts könnte dazu beigetragen haben, dass mehr weibliche als männliche Personen an der Online-Umfrage teilgenommen haben. Beobachtungen deuten darauf hin, dass der Begriff “queer” von weiblichen Personen häufiger verwendet wird als von männlichen.
Beim Verein habs queer basel greift die Arbeitsgruppe “Männerzeug” ein verwandtes Thema auf. In ihrer Einleitung heißt es:
Schwule Männer sind im aktuellen feministischen Diskurs der Mehrheitsgesellschaft bestenfalls unter “queeren Menschen” mitgemeint. Darüber hinaus sind sie bis weit in die sogenannte progressive Gesellschaftspolitik hinein vor allem eines: verdächtig, aufgrund ihres Geschlechts an der “patriarchalen Dividende zu knabbern”. Sprich: von Privilegien zu profitieren, weil sie Männer sind. Das obwohl die Ausgrenzung schwuler Männer durch das Aberkennen eben ihrer Männlichkeit ein zentraler Bestandteil sowohl ihrer Unterdrückungserfahrung, als auch der hegomenalen Männlichkeit ist.
Wie Umgehen mit diesem Widerspruch? Und welche weiteren Themen und Spannungsfelder beschäftigen spezifisch schwule Männer – in der Mehrheitsgesellchaft? In der queeren Community? Und wie adressieren wir diese im aktuellen feministischen Diskurs?
Quelle: https://habs.ch/maennerzeug/
Der Verein Tritta e.V. verwendet den Begriff “queer” in Gruppennamen. Obwohl „queer“ allgemein als Sammelbegriff für verschiedene sexuelle und geschlechtliche Identitäten verwendet wird, scheinen bei dieser Gruppe cis-männliche Personen eher nicht mitgemeint zu sein. Durch solch eine Verwendung verliert das Wort „queer“ in Freiburg zunehmend seine Funktion als inklusiver Sammelbegriff.
Bildungsangebote zu “Vielfalt”
Im Abschlussbericht wird auf Seite 96 (Kapitel 10.8.1 „Fehlende Angebote“) festgehalten, dass sich 74,3 % der Jugendlichen Informationsveranstaltungen und Workshops wünschen. In Freiburg existieren bereits verschiedene Bildungsangebote zu den Themen sexuelle Identität und geschlechtliche Vielfalt, die sich sowohl an Jugendliche als auch an Fachkräfte richten. Beispiele:
- Bildungsangebote durch das Team von FLUSS e.V.
- Fachtag: “Vielfalt leben, Jugendhilfe stärken: Queer im Fokus” – 09.05.2025
- Fachtag: “Queer” – 21.11.2024
Bei den oben genannten Bildungsangeboten ist bislang die cis-männliche Perspektive unterrepräsentiert oder fehlt gänzlich. Um die Akzeptanz dieser Bildungsangebote zu erhöhen, sollte die cis‑männliche Perspektive stärker im Personal sowie bei den Referent*innen vertreten sein.
Der Aktionsplan “Für Akzeptanz und gleiche Rechte Baden-Württemberg 2025” (Download: PDF) hebt unter anderem die Bedeutung der geschlechtlichen Vielfalt in der Arbeitswelt hevor. Dabei könne das Land Baden-Württemberg als Arbeitgeber eine Vorbildfunktion einnehmen. Auch die Mitgliedsvereine des Queeren Netzwerks Baden-Württemberg können durch mehr geschlechtliche Vielfalt beim eigenen Personal eine Vorreiterrolle übernehmen.
Flaggen-Symbolik
Auf dem Titelblatt des Abschlussberichts ist eine Progress Pride Flag von 2021 abgebildet. Im Bericht selbst fehlt eine Erläuterung, nach welchen Kriterien die Flaggenvariante aus dem Jahr 2021 ausgewählt wurde und nicht eine andere Variante.
Die Entscheidung für eine bestimmte Progress Pride Flag impliziert stets eine bewusste oder unbewusste Hierarchisierung: Welche Identitäten werden repräsentiert, welche bleiben unsichtbar?














Die zunehmende Zahl an Pride-Flaggen, die spezifische Farben und Symbole zur Repräsentation bestimmter Identitäten nutzen, markiert eine Abkehr von der ursprünglichen, universellen Regenbogenflagge. Während diese Entwicklung darauf abzielt, die Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen zu erhöhen, birgt sie das Risiko, dass das Symbol weniger universell wiedererkennbar wird und ein Gefühl der Spaltung entstehen kann. Kritiker*innen argumentieren, dass das Hinzufügen spezifischer Streifen eine Hierarchie von Identitäten schafft, was im Gegensatz zur ursprünglichen Regenbogenflagge steht, die als allumfassendes Symbol für die gesamte Community konzipiert wurde.
Planung & Konzeption
In der Sitzung des Kinder- und Jugendhilfeausschusses am 10.03.2025 wurde in den Diskussionsbeiträgen auch die Träger*innenschaft thematisiert:
Damit ein queeres Jugendzentrum breite Akzeptanz finden kann, sollte die Vorstandschaft des Träger*innenvereins und das Personal eines Jugendzentrums die Vielfalt der Geschlechter abbilden – einschließlich cis-männlicher Perspektiven.
Die Konzentration von Entscheidungsmacht und Finanzmitteln bei einem Träger*innenverein und dessen hauptamtlichen Strukturen kann bestehende ehrenamtliche Angebote in Abhängigkeit bringen oder verdrängen. Es können Spannungen entstehen, wenn Ehrenamtliche den Eindruck gewinnen, durch eine Professionalisierung und Kommerzialisierung übergangen zu werden.
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